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Pflichtteil-Konstellation: „Ehegattentestament“

Rechtsanwalt Wolfgang Odoj LL.M.    |    3. September 2018    |    überarbeitet 5. Dezember 2022

Oftmals errichten Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament (Ehegattentestament) und setzen sich darin gegenseitig als Alleinerben ein.


Häufig bestimmen sie zugleich, wer nach dem Tod des Zweitversterbenden Erbe werden soll. Man spricht bei einem solchen Ehegattentestament auch von einem „Berliner Testament“.

Ehegattentestament

Beispiel eines Ehegattentestaments:

Unser letzter Wille
Wir, die Eheleute Helga Schneider und Kurt Schneider, setzen uns gegenseitig zum Alleinerben ein.
Nach dem Tod des Letztversterbenden von uns beiden sollen unsere gemeinsamen Kinder Erben zu gleichen Teilen werden.

Augsburg, 31.01.2018              Augsburg, 31.01.2018
Helga Schneider               Kurt Schneider

Bei einem solchen Ehegattentestament wird beim ersten Erbfall der überlebende Ehegatte Alleinerbe. Die Kinder werden dadurch beim ersten Erbfall enterbt.
Hier entstehen daher bereits mit dem Tod des erstversterbenden Elternteils Pflichtteilsansprüche der Kinder.

Pflichtteils-Strafklauseln / Pflichtteils-Vergällungsklauseln

Um die Kinder von der Einforderung des Pflichtteils beim Tod des erstversterbenden Elternteils abzuhalten, werden deshalb in das Testament der Ehegatten teilweise „Pflichtteils-Strafklauseln“ oder „Pflichtteils-Vergällungsklauseln“ aufgenommen.


Beispiel einer Pflichtteils-Strafklausel im Ehegattentestament:

(…)
Sollte eines unserer Kinder bereits beim Tod des Erstversterbenden von uns beiden seinen Pflichtteil verlangen, so soll es beim Tod des Letztversterbenden nicht Erbe werden, sondern nur den Pflichtteil erhalten.
(…)

Solche Testamentsklauseln können die Pflichtteilsansprüche der Kinder beim ersten Erbfall jedoch nicht verhindern!

Die Funktion von Strafklauseln beschränkt sich letztlich darauf, die Kinder dazu zu bringen, in Erwartung eines höheren Erbes auf die Einforderung des Pflichtteils zu verzichten.
Folglich können sich die Kinder entscheiden, ob sie beim Tod des erstversterbenden Elternteil ihren Pflichtteil einfordern.

Pflichtteil einfordern oder nicht?

Bei dieser Entscheidung werden häufig Fehler gemacht!

Um sich für oder gegen die Einforderung des Pflichtteils beim Tod des erstversterbenden Elternteils entscheiden zu können, sollte das Kind Folgendes wissen:

  • Ist der überlebende Elternteil rechtlich an das gemeinsam errichtete Testament der Ehegatten gebunden?
    Kann das Kind sich also sicher sein, beim Tod des zweitversterbenden Elternteils Erbe zu werden?
  • Wie ist das Testament rechtlich zu verstehen?
    Liegt eine sog. Trennungslösung mit Vor- und Nacherbschaft oder eine sog. Einheitslösung mit Voll- und Schlusserbschaft vor?
  • Wie sieht eine Vergleichsberechnung aus, wenn das Ehegattentestament (wirksame) Pflichtteilsstrafklauseln enthält?
  • Schließlich muss das Risiko abgeschätzt werden, dass der überlebende Elternteil das vorhandene Vermögen bis zu seinem Tod (beispielsweise für kostenintensive Pflege) verbraucht.

Fehlerquelle:
Ein Irrtum über eine nicht bestehende Bindungswirkung der späteren Erbeinsetzung wirkt sich erheblich aus.

Löst sich der überlebende Ehegatte berechtigterweise von dem gemeinschaftlichen Testament und setzt eine andere Person (z.B. neuen Partner) als Erben ein, kann das Kind nur noch Pflichtteilsansprüche aus dem Erbfall des zweiten Elternteils geltend machen, wenn die Pflichtteilsansprüche aus dem ersten Erbfall zwischenzeitlich verjährt sind.

Bei einem Ehegattentestament mit Pflichtteils-Strafklausel stehen die Kinder also immer vor der Frage: den Pflichtteil beim Tod des erstversterbenden Elternteils einfordern oder besser nicht?

Wichtig ist bei dieser Entscheidung stets eine sichere Grundlage:

  • Rechtliche Prüfung, ob das Ehegattentestament dem Kind eine gesicherte Erberwartung für den zweiten Erbfall verleiht.
  • Genaue Berechnung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Dieser ist oft wegen lebzeitiger Übertragungen und Schenkungen (Pflichtteilsergänzungsansprüche) höher als erwartet.